Teil 11: Agiles Projektmanagement – Agile Transition

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Teil 11: Agile Transition in der Organisation

Im vorhergehenden Blog haben wir uns mit dem Thema hybrides Projektmanagement beschäftigt, da nicht immer eine eindeutige Entscheidung für eine agile oder klassische Vorgehensweise getroffen werden kann. Sofern eine Entscheidung für ein agiles oder hybrides Vorgehen getroffen wurde, hat dies immer Auswirkungen auf die Organisation von Unternehmen. In diesem Teil unserer RFC Blogreihe zum agilen Projektmanagement beschäftigen wir uns mit der agilen Transition in Unternehmen mit einer klassisch hierarchischen Organisationstruktur.

Agile Transition

Immer mehr Unternehmen setzen bei der Softwareentwicklung oder dem Management von komplexen Projekten auf agile Methoden. Dies stellt sowohl Führungskräfte als auch Mitarbeiter vor neue Herausforderungen. Verantwortung verteilt sich anders, die Arbeitsweise verändert sich grundlegend, alte Hierarchien und Prozesse greifen nicht mehr. Die Einführung agiler Arbeitsweisen verlangt ein umfangreiches Umdenken bei den Mitarbeitern, den Führungskräften, der Kultur und letztendlich der gesamten Organisation. Dabei müssen die Change-Verantwortlichen insbesondere dem sensiblen Thema „Führung“ von Beginn an eine hohe Aufmerksamkeit schenken, da die Einführung agiler Arbeitsweisen oft eine erhebliche Beschneidung bisheriger Kompetenz- und Einflussbereiche der Führungskräfte bedeutet. Gerade in großen Unternehmen ist die Organisation hierarchisch strukturiert und selbst in Matrixorganisationen sind die klare Zuordnung der Verantwortlichkeiten, strikte Berichtswege und definierte Prozesse Bestandteil des Organisationsverständnisses. In einem agilen Arbeitsumfeld sind solche organisatorischen Vorgaben hinderlich und ersticken sämtliche agilen Ambitionen sofort im Keim. Wesentliche Aufgabe einer agilen Transition ist es also, die bisherige Organisation dem agilen Vorgehen anzupassen. In Blog 8 „Skalierte Agile Methoden“ haben wir zwei agile Frameworks (SAFe und DA) vorgestellt, die zeigen wie eine agile Organisation aussehen kann. Daran schließt sich die Frage an, wie die agile Transition im Unternehmen erfolgreich umgesetzt werden kann? Mit dieser Fragestellung wollen wir uns in diesem Blog beschäftigen. Agil und Lean bedeutet nicht nur die Einführung agiler Techniken, sondern führt zu einem Kulturwandel in den Unternehmen und fordert auch grundsätzlich veränderte Verhaltensweisen bei allen Beteiligten.

Start mit Pilotprojekt

Eine umfangreiche Einführung einer agilen Organisation im gesamten Unternehmen sollte erst erfolgen, wenn ausreichend Erfahrung vorhanden ist. Folglich werden die ersten Erfahrungen mit der neuen Vorgehensweise in der Regel mit einem Pilotprojekt gesammelt. Bevor das erste Pilotprojekt gestartet wird, sollten sich die Verantwortlichen darüber im Klaren sein, was sie sich von dem agilen Vorgehen erhoffen. In dieser Entscheidungsphase sollte auf Basis der Ziele bewertet werden, welcher agile Ansatz am Erfolgversprechendsten erscheint. In dieser Phase ist es sinnvoll, Beratungsleistung von erfahrenen agilen Experten in Anspruch zu nehmen.

Nach der Entscheidung für eine konkrete Vorgehensweise startet das Pilotprojekt, das idealerweise die folgenden Eigenschaften besitzt:

  • Das Projektziel ist mit den klassischen Ansätzen vermutlich nur mit großem Risiko oder gar nicht erreichbar;
  • Das Projekt darf scheitern; es muss aber ausreichend relevant sein („Scheitern ist schmerzhaft“);
  • Das Projekt hat keine oder wenige Abhängigkeiten mit anderen Projekten / Teams / Abteilungen.

In der Regel ist es nicht sinnvoll, auf das „perfekte“ Pilotprojekt zu warten. Im Zweifel ist es besser, von den anstehenden Projekten das auszuwählen, das die Kriterien am besten erfüllt und damit zu starten. Das Pilotprojekt soll neben dem erstellten Produkt vor allem Erkenntnisse darüber liefern, was die agile Transition für das Unternehmen bedeutet. Neben den Vorteilen sollte deutlich werden, welche Auswirkungen anstehen und welche Herausforderungen potenziell zu bewältigen sind, wenn das agile Vorgehen in Projekten im größeren Umfang im Unternehmen eingeführt wird. Bereits vor dem Start des Pilotprojektes ist zu definieren, wie die Ergebnisse ausgewertet werden. Auf Basis dieser Auswertung kann entschieden werden, ob ein Veränderungsprozess im Unternehmen hin zu einer agilen Organisation eingeleitet werden soll.

Veränderung der Verhaltensweisen

Viele Unternehmen haben festgestellt, dass das bloße Nachbilden agiler Praktiken nicht den gewünschten Erfolg bringt, da nicht automatisch der erwünschte Kulturwandel eintritt. Jeder Mensch verfolgt in der Regel ein Wertesystem, welches sein Verhalten prägt. Dieses Verhalten erzeugt bestimmte Reaktionen und Ergebnisse und prägt damit unsere Erfahrungen, die wiederum auf unser Wertesystem zurückwirken. Um diesen Kreislauf zu durchbrechen, kann der Blick von außen, nämlich durch einen erfahrenen agilen Coach helfen. Diese Thematik wird in Blog 12 erörtert.

Kulturwandel im Unternehmen

Die Frage ist, wie die agile Organisation schrittweise im Unternehmen eingeführt werden kann. Ohne einen Kulturwandel geht es nicht. Bei kleineren Unternehmen kann dies in „einem Rutsch“ geschehen. Wird diese neue Kultur mit den agilen Werten als Fundament bei größeren Organisationen aber schrittweise eingeführt, kann es zu Spannungen mit der existierenden Unternehmenskultur kommen. Kulturwandel kann man nicht verordnen. Die Unternehmenskultur wird im Wesentlichen durch das Verhalten der Mitarbeiter, insbesondere dem der Führungskräfte geprägt und findet über Verhaltensänderungen statt. Es ist sinnvoll, die neue Kultur schrittweise über agile Multiplikatoren im Unternehmen nachhaltig zu verbreiten. Für dieses organische Ausbreiten kann beispielsweise das agile Pilotteam aufgeteilt und die entstandenen neuen Teams mit neuen Teammitgliedern aufgefüllt werden. Dabei liegt die Herausforderung der Transition nicht in den konkreten Praktiken und der Koordination mehrerer Teams, sondern in der passenden Ausbreitungsstrategie für die agile Kultur im Unternehmen. Wenn diese neuen Teams erfolgreich agil gearbeitet und die neue Kultur verinnerlicht haben, werden sie nach dem gleichen Schema wieder aufgeteilt usw. Zur Unterstützung des Erfahrungsaustausches eignen sich regelmäßige Open-Space-Veranstaltungen und eine Community of Practice (CoP).

Abbildung 1: Organische schrittweise Ausbreitung von Verhaltensweisen und Erfahrungen durch Multiplikatoren

Das „Agile Transition Team“

Bei der Veränderung von Verhaltensweisen und Denkmodellen von Menschen ist es nicht sinnvoll, zu Beginn einen detaillierten Plan für die Transition aufzustellen und diesen dann schrittweise umsetzen. Stattdessen ist ein inkrementelles Verfahren erforderlich, um den Lernprozess zu unterstützen und das Gelernte im weiteren Vorgehen zu integrieren. Somit eignet sich ein agiles Vorgehen auch sehr gut als Instrument, um die Transformation der Organisation Schritt für Schritt zu „entwickeln“. In größeren Organisationen lohnt es sich, dafür ein sog. „Agile Transition Team“ zu bilden. Eine Kultur braucht Vorbilder, um wachsen zu können. Das „Agile Transition Team“ lebt daher die agilen Werte Respekt, Offenheit, Mut, Fokus und Commitment aktiv vor und agiert damit selbst als Multiplikator des agilen Mindsets.

Abbildung 2: Agile Transition mit agilen Verfahren einführen

Auch muss berücksichtigt werden, dass es ohne Rückendeckung des Top-Management zu keinen Änderungen kommen wird, d.h. für die Gründung eines Transition Team ist das Mandat bzw. Commitment der obersten Führungsebene erforderlich. Das Transition Team sollte sich cross-funktional aus Führungskräften und erfahrenen Senior-Managern der verschiedensten Unternehmensbereiche zusammensetzen. Jedes Mitglied des Transition Team sollte mit mindestens 50% Kapazität und freiwillig bei der Sache sein. Durch diese Freiwilligkeit und die positive Ausstrahlung gewinnt das Transition Team an Authentizität.

Die Kernaufgabe besteht darin, den agilen Teams den Rücken freizuhalten und für sie Hindernisse aus dem Weg zu räumen, die durch das nicht-agile Umfeld entstehen. Also für die notwendige Veränderung der Rahmenbedingungen und Prozesse zu sorgen und somit das Unternehmen weiter in Richtung einer agilen Organisation voranzutreiben. Der für das Transitions-Backlog verantwortliche Mitarbeiter (Product Owner) sollte eine einflussreiche Person im Unternehmen sein. Das Transition Team selbst nutzt auch die bekannten agilen Prinzipien und Methoden (z.B. das Pull-Prinzip, die Kundenorientierung und die kontinuierliche Verbesserung) als Leitlinien für ihre Arbeit. Durch das kontinuierliche Abgleichen der aktuellen Situation mit den agilen Prinzipien werden Abweichungen erkannt und geeignete Maßnahmen eingeleitet.

Genau genommen liefert das Transition Team ein Produkt: die Transformation. Diese Transformation wiederum ist ein komplexer Prozess, und eine agile – und damit lernende – Organisation ist nie „fertig“. Sie ist ständig im Wandel und entwickelt sich weiter.

Die neue Rolle der Führungskraft in einer agilen Organisation

Führung ist zwar auch in agilen Unternehmen notwendig, aber sie unterscheidet sich deutlich von der Art der Führung in klassischen Unternehmen. Klassischerweise werden übergreifende Ziele hierarchisch heruntergebrochen, Arbeitsaufträge bis auf die unterste Mitarbeiterebene delegiert und die Erledigung überwacht und kontrolliert. In einer traditionellen Organisation sorgen die Führungskräfte dafür, dass die Mitarbeiter die Informationen, die Skills und die Umgebung besitzen, um eigenständig zum Unternehmenserfolg beitragen zu können.

Bereichsdenken und wasserfallartiges „Über-den-Zaun-werfen“ von Teilverantwortung wird in einer agilen Welt durch dynamische übergreifende Zusammenarbeit ersetzt. Die agile Organisation ist als eine Art Strukturrahmen zu begreifen. Sie verlinkt sich zur Bearbeitung aktueller Themen dynamisch, um Ziele effizienter zu erreichen. Wenn dies vom Unternehmen gelebt wird, muss eine Reaktion auf Marktveränderungen nicht zwangsläufig jedes Mal die nächste Re-Organisation bedeuten. Die Führungskräfte müssen diese neue Art der Zusammenarbeit, bei der Teams gemeinsam an einem Projektziel arbeiten und für die Ergebnisse Verantwortung übernehmen, mit den agilen Werten als Fundament vorleben. Dazu gehören konkret die folgenden Führungsprinzipien:

  • als Vorbild fungieren
  • die Unternehmensvision überzeugend vertreten und die Richtung für die nächsten Schritte vorgeben und immer den Blick auf die Gesamtsituation behalten
  • offen und transparent kommunizieren (z.B. auch eigene Fehler zugeben)
  • lernen loszulassen, zu vertrauen und den Teams mehr Verantwortung übertragen
  • passende Rahmenbedingungen schaffen, in denen sich Selbstorganisation entfalten kann
  • die Bereitschaft haben, bestehende Prozesse zu ändern oder sogar abzuschaffen
  • als Mentor für Mitarbeiter zur Verfügung stehen

Fazit:

Der Veränderungsprozess hin zu einer agilen Organisation sollte von einem Transition Team gestaltet und begleitet werden. Dazu wird Schritt für Schritt der bestmögliche Kurs für die Transformation ermittelt. Die Zusammenstellung des Teams ist dabei sehr entscheidend für dessen Erfolg.

Das Transition Team und die Führungskräfte müssen die agilen Werte und Praktiken vorleben, um bei den Mitarbeitern die Entwicklung eines agilen Mindsets zu fördern. Als Framework für das Transition Team ist eine agile Vorgehensweise wie beispielweise Scrum sehr hilfreich.

Das Transition Team arbeitet eng mit den bestehenden agil arbeitenden Teams zusammen und unterstützt diese. Als Gradmesser für den Stand der agilen Transformation kann der Umgang mit Hindernissen (Impediments) dienen.

Ausblick:

In unserer Blogreihe sind wir bereits ausführlich auf die agilen Werte und Prinzipien eingegangen. Da der Mensch ein wichtiger Faktor für die erfolgreiche Einführung von Agilität im Unternehmen ist, möchten wir detaillierter darauf eingehen und untersuchen in Blog 12 den „Menschen“ in der Agilität.

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